Wohnbaugebiet „Roter Rain IV“ in Fritzlar, Schwalm-Eder-Kreis (Foto: Sascha Wagner (HLG))

Die Hessen träumen vom Haus mit Garten

Ein Gespräch mit Peter Eschenbacher über die Wohn-Wünsche der Hessen, den Immobilienmarkt mit Corona und die neue Richtlinie zur Bodenbevorratung

Herr Eschenbacher, als HLG begleiten Sie seit mehr als 100 Jahren die Entwicklung des Landes als deren Flächenmanagerin. Wie muss man sich das vorstellen?

Seit 1919 gibt es die „Landgesellschaft in Hessen, mit verschiedenen Rechtsvorgängern. Ursprünglich gegründet, um den ländlichen, hauptsächlich agrarisch geprägten Raum zu entwickeln, mit der Zeit aber auch in anderen, flächenrelevanten Bereichen mit zusätzlichen Aufgaben wie, Infrastruktur, Naturschutz und vor allem im Wohn- und Gewerbeflächensektor aktiv.

Wie sieht das Engagement der HLG im Wohn- und Gewerbeflächensektor konkret in der Praxis aus?

In den vergangenen 40 - 50 Jahren haben wir gemeinsam mit etwa 220 hessischen Kommunen mehrere Hundert Wohn- und Gewerbeprojekte in Hessen entwickelt und häufig auch die nötige Infrastruktur für deren Erschließung hergestellt. Wir handeln überwiegend im Auftrag der Kommunen, in geringem Umfang im Eigengeschäft. Unsere Richtlinie verlangt von uns, preisdämpfend zu wirken. Wir sind also nicht der Spezialist für die hochpreisigen Villenlagen in Kronberg und den Mulang in Kassel, oder für Büroflächen im Frankfurter Westend. Aber in der Entwicklung von Wohn- und Gewerbeflächen in der gesamten Weite des Landes Hessen und für Endkunden mit bürgerlichem Budget hat wohl keine Institution so viel Erfahrung und Überblick wie wir. Unsere Projektstruktur und Projektorganisation ist sehr kompatibel zum Verwaltungsaufbau unserer kommunalen Auftraggeber, so dass man uns oft als „Bau- oder Liegenschaftsamt auf Zeit“ bezeichnet. Wir bringen also nicht nur die Finanzierung der Projekte mit, sondern auch die eigenen Personalressourcen und das nötige Know how für die Projektleitung und die Projektsteuerung. Alle übrigen Entwicklungsschritte erledigen wir unter Einbindung von regionalen Dienstleistern.

Herr Eschenbacher, 2020 wird als Corona-Jahr in die Geschichte eingehen. War trotz der Pandemie die Nachfrage nach Grund und Boden für Wohnen und Gewerbe weiterhin groß?

Corona hat den Wunsch nach Grundstücken nicht gebrochen. Nirgendwo sind die Grundstückspreise bisher rückläufig, im Gegenteil. In 2020 haben wir an den (noch vor Corona) gesteckten Zielen keine Abstriche machen müssen. Die geplanten Verkäufe entsprechen den Erwartungen und auch die Ankäufe in 2020 können sich sehen lassen. Der Jahresverlauf war - bezogen auf die vermarkteten Flächen - geprägt von einem Schwerpunkt im Wohnbaubereich. Gewerbegrundstücke wurden etwas weniger nachgefragt. Wir gehen aber insgesamt von einer leichten „Nachfragedelle“ in den nächsten beiden Jahren aus, wenn die tatsächlichen Auswirkungen von Corona sichtbar werden und durchschlagen.

Konzentriert sich das Wachstum nur auf Ballungszentren, oder gibt es auch Überraschungen, indem sich neue Wachstumszentren bilden?

Die Nachfrage nach Bauland ist in Ballungszentren naturgemäß größer als im ländlichen Raum. Aber wenn ich Ballungsraum sage, dann meine ich heute nicht mehr nur Frankfurt und Rhein-Main, sondern auch Kassel im Norden, Gießen in der Mitte und das boomende Fulda im Osten. Und die enorme Nachfrage in den bekannten und neuen Ballungsräumen führt natürlich auch in deren Speckgürtel – also in deren Umfeld im bisher rein ländlichen Raum - zu Preiseffekten. Durch das historisch „billige Geld“ wird diese Entwicklung zudem beflügelt. Der Ballungsraum kann die hohe Baulandnachfrage nicht alleine decken und damit steigt auch der Druck auf die Märkte im ländlichen Raum. Das kann man auch daran festmachen, dass sich heute da viele „Entwickler“ tummeln, die man früher dort nicht angetroffen hat.

Löst Corona einen Nachfrageschub in ländlichen Räumen aus oder nach prinzipiell anderen Wohnformen?

Um diese Frage seriös und abschließend zu beantworten, ist es noch zu früh. Auf jeden Fall hat die Corona-Pandemie den Wunsch nach dem Haus mit Garten im intakten sozialen Umfeld abermals verstärkt, so wie Corona auch die Nachfrage nach Schrebergärten hat steil steigen lassen. Die Leute wollen ihren Freiraum haben statt Enge. Sie wollen draußen sein, anstatt dass ihnen die Decke auf den Kopf fällt. Der ländliche Raum könnte ein Gewinner dieser Entwicklung werden, insbesondere, wenn dort die „digitale Infrastruktur“ zügig ausgebaut wird.

Wie und wo wollen die Hessen also wohnen?

Ja, durchaus im ländlichen Raum. Viele von ihnen wollen das, denn sie möchten nach wie vor im freistehenden Haus mit Garten leben. Wenn die Interessenten das freistehende Einfamilienhaus nicht in der Stadt, sondern nur weiter außerhalb kriegen können, dann nehmen sie es dort, wenn die sonstigen Kriterien stimmen. Mittel- und langfristig wird sicher auch im ländlichen Raum eine gewisse Verdichtung im Bereich Wohnen nicht zu vermeiden sein.

Nach welchen Kriterien entscheiden sich die Käufer beim Kauf eines Grundstücks?

Das wichtigste Kriterium ist der Preis in Verbindung mit der Lage. Dazu zählt zum Beispiel eine gute Anbindung an den ÖPNV. Diese lässt – falls vorhanden - die Grundstückspreise um 10 bis 15 Prozent steigen, „also um das eingesparte Zweit-Privatauto“. Ebenso wichtig ist mittlerweile der Breitbandanschluss. Erwartet werden ferner der Kindergarten, die Nahversorgung mit Lebensmitteln und eine gute Gesundheitsinfrastruktur. Die gezielte Nachfrage nach Häusern und Siedlungen nach dem Plus Energie Standard sowie nach innovativen Mobilitätskonzepten steht noch ganz am Anfang. Sie spielt aktuell kaum eine Rolle, zumal auch Energie derzeit relativ preiswert ist, und die neuen Konzepte von den Kommunen marketingmäßig kaum bespielt werden. Aber dieses Thema wird sicher durch die sukzessive Verteuerung fossiler Energieträger noch brisant. Hier können wir allen Kommunen nur empfehlen, die Bauleitplanung frühzeitig in diese Richtung zu lenken. Immerhin verfügen die Kommunen über die Planungshoheit

An welchen Orten, in welcher Lage und mit welcher Infrastruktur sind Gewerbeflächen für welche Nutzung gefragt?

Unsere Aktivitäten als HLG teilen sich im Durchschnitt der Jahre zu etwa zweidrittel auf das Wohnen und zu einem Drittel auf die Entwicklung von Gewerbeflächen auf. Wo die Schwerpunkte der Entwicklung von Gewerbeflächen liegen, ist schwer zu sagen. Denn die Logistik ist überall im Vormarsch, wo es eine Anbindung ohne Ortsdurchfahrt in Autobahnnähe gibt und die Fläche mindestens 20 Hektar groß ist. Lokal mag die Logistik zwar ein ungeliebtes Kind sein. Keiner will diese Zentren mit den landschaftsprägenden Hochregallagern, aber sehr viele unserer Mitbürger bestellen beim Versandhandel. Das hat sich insbesondere in der Corona-Krise gezeigt. Meine Prognose: Die Nachfrage nach Gewerbeflächen für Logistik wird weiter enorm wachsen. Hier stellt sich also nicht die Frage „ob?“, sondern nur noch „wo?“ Wenn ein geplantes Projekt mal nicht verwirklicht wird, liegt es nicht daran, dass die Hallen nicht benötigt werden, sondern es hat oft andere Gründe, zum Beispiel die fehlende Akzeptanz durch Bevölkerung und/oder Regionalpolitik. Aber damit ein Projekt gelingt, ist die volle Überzeugung und Unterstützung durch Bevölkerung und Kommunalpolitik unverzichtbar. Ansonsten „zieht die Karawane“ unbeeindruckt zum nächsten Standort weiter.

Hält die Nachfrage nach neuen Flächen für Gewerbe auf der grünen Wiese unvermindert an, oder werden auch bisherige Standorte zukunftsorientiert für neue Zwecke genutzt?

Unser aktuelles Paradebeispiel für Flächenrecycling in Nordhessen ist der alte Flugplatz Kassel-Calden, der zu einem Gewerbegebiet für luftverkehrsaffines Gewerbe ausgebaut wird. Die ZF Luftfahrtechnik GmbH hat dort schon seit vielen Jahren ihren Hauptsitz, und Airbus hat dort den zentralen Standort für Deutschland für die Drehflügler, die Helikopter. Wir verwirklichen hier Flächenrecycling im besten Sinne mit einem Gewerbegebiet, das man anfliegen kann. Das ist ein einmaliger Vorteil in logistisch bester Lage in Deutschland. In Hochheim am Main bei Wiesbaden entsteht eine internationale Tennisakademie auf dem früheren Tetrapak-Standort, der als Unterkunft für Geflohene zwischengenutzt wurde.  Dort sollen neben insgesamt 40 Innen- und Außentennisplätzen, eine internationale Schule, ein Hotel, ein Boarding-House sowie eine Restaurantinfrastruktur u.v.m. entstehen. Ebenso konnten wir die flächenmäßige Expansion der benachbarten Gewerbebetriebe unterstützen, sowie ein Grundstück für eine neue KITA und Räumlichkeiten zur Unterbringung der städtischen Werke bereitstellen. Auch das ist ein Beispiel für bestes Flächenrecycling im Innenbereich. Insgesamt kann die Gewerbeflächennachfrage alleine durch recycelte Flächen nicht befriedigt werden.

Wie werden sich die Grundstückspreise 2021 entwickeln?

Gegenüber anderen Anlageformen gelten Grund- und Boden als sicher, krisenfest und attraktiv. Es mag eine Delle in der Nachfrage geben, wenn die Auswirkungen der Pandemie am Arbeitsmarkt empfindlich durchschlagen sollten. Doch wer dann nicht mehr kaufen kann, wird aktuell am Markt ersetzt durch den, der schon immer kaufen konnte sowie durch institutionelle Anleger und Fonds. Selbst Gewerbe- und Logistikprojekte, die erst im mittelfristigen Zeitfenster realisiert werden, erfreuen sich bereits heute einer hohen Nachfrage. Wir rechnen also nicht mit einer rückläufigen Preisentwicklung. Dies wäre ein Novum am deutschen/hessischen Grundstücksmarkt, der bisher nicht durch „platzende Blasen“ gekennzeichnet war. Selbst in zurückliegenden Krisenzeiten kann man statistisch betrachtet am Markt allenfalls eine „Seitwärtsbewegung“ der Preise beobachten.

Mit welcher Erwartung gehen Sie als HLG in die 2020er Jahre?

Die hessische Variante eines strategischen Flächenmanagements, d.h. die gute alte Bodenbevorratung (BBV) mit der immer wieder behutsam angepassten BBV-Richtlinie betreiben wir im Auftrag des Landes Hessen seit 1980. Viele Bundesländer beneiden uns darum und versuchen ähnliche Modelle zu installieren. Jetzt wollen wir mit einer neuen Landesrichtlinie durchstarten. Die in 2020 tiefgreifend durchgeführte und ab 1.1.2021 gültige Novellierung wird die Bodenbevorratung noch enger mit den Zielen der Landesentwicklung verzahnen, insbesondere unter dem Aspekt der Vermeidung des Flächenverbrauchs und der Einführung von verbesserten energetischen Standards bei der Siedlungsentwicklung. Entscheidend ist, dass Bodenbevorratung noch mehr zum kommunalen Thema wird. Das Instrument wird für die Bürgermeister/innen noch transparenter, rechtssicherer und werthaltiger. Bisher hat die HLG 50 % der Mehrerlöse aus der BBV für sich behalten dürfen. Jetzt gehen 100 % an die kommunale Seite. Die HLG erhebt weiterhin ihre Gebühren. So aber wird die BBV im kommunalen Auftrag für uns nun zum reinen Gebührengeschäft. Wir wollen damit von 2021 an die Öffentlichkeit gehen. Das wird unser Kommunalgeschäft beflügeln. Unsere Kunden, die schon immer Kunden waren, werden es hoffentlich bleiben, und andere werden die Vorteile, die wir bieten, neu für sich entdecken. Ich freue mich schon sehr auf die neuen Herausforderungen.

Dieses Interview wurde geführt von Claus Peter Müller von der Grün, Kassel

Name: Peter Eschenbacher 
In der HLG seit: 01.11.1986 
Funktion: Prokurist und Fachbereichsleiter
Fachbereich: F1 – Bodenbevorratung und Kommunalbetreuung
E-Mail: peter.eschenbacher@hlg.org